Wie sieht Ihre subjektive Sicht auf die objektive Wahrheit aus?

Verfasst von: Thomas Burmeister
Herz und Hirn Hand in Hand
Herz und Hirn Hand in Hand  Bild: © fabioberti.it - Fotolia.com
Haben Sie schon einmal Ihre Freunde gebeten, Ihnen in maximal 2 Sätzen die Welt zu erklären? Nein? Dann sollten Sie dies einmal tun - vielleicht als Partyspass. Denn eines ist sicher: Wenn Sie 50 oder 100 Personen fragen, so erhalten Sie ebenso viele unterschiedliche Antworten. Einige unterscheiden sich nur in Nuancen, andere wiederum sehr deutlich. Doch warum ist das so und was können wir daraus lernen?

Worum auch immer es geht - wir alle haben eine unterschiedliche Sicht auf die Dinge und Geschehnisse der Welt. Ein Paradebeispiel dafür ist die Politik. Gerade hier wird es ganz offensichtlich, wie verschieden das gleiche lokal- oder auch weltpolitische Ereignis gewertet wird. Wer es nicht glaubt, möge einen Blick in die Ukraine werfen. Sogar hier in Deutschland, ca. 1.600 km von Kiew entfernt haben sich viele Bürger eine Meinung gebildet. Eine Meinung, die in Ermangelung einer eigenen vermeintlich ungefilterten Wahrnehmung vor Ort entstanden ist durch die Verarbeitung externer Quellen.

Für unser Gehirn gilt es, täglich eine Vielzahl von Informationen zu verarbeiten und zu beurteilen. Dabei passieren diese Informationen verschiedene Filter. Und genau diese sind von Person zu Person unterschiedlich - und sie sind variabel, können sich also situativ verändern. So hat zum Beispiel unsere Prägung und Erziehung in Kindheit und Jugend einen hohen Einfluss auf unsere Wahrnehmung der Ereignisse um uns herum. Unser Freundeskreis, die Medien, unser soziales Umfeld sowie unsere Herkunft sind nur einige von schier unzählbaren Einflussgrößen, die über unsere Sicht der Dinge entscheiden. Doch auch unsere Interessen, gemachte Erfahrungen (und daraus abgeleitete Erkenntnisse) und unser Kontostand mischen kräftig mit.

Wir können nichts für unsere Wahrnehmung!

Dass wir eine objektive Situation auf eine bestimmte Art und Weise wahrnehmen, können wir nur beeinflussen, wenn wir uns ganz bewusst genau dies vornehmen. Ansonsten gilt: Die erhaltene Information wird gefiltert und danach aus der uns eigenen Perspektive betrachtet. Im Umkehrschluss bedeutet dies somit, dass wir alle immer nur über eine subjektive Wahrnehmung einer bestimmten Situation verfügen. Wenn Sie einen Verkehrspolizisten fragen, wird er Ihnen dies bestätigen: Der erste Zeuge wird steif und fest behaupten, dass der rote Wagen bei grün in die Kreuzung eingefahren ist. der zweite meint, dass der Lieferwagen viel zu schnell war und der dritte, dass nicht der roten Wagen freie Fahrt hatte, sondern der grüne.

Was wird der geschickte Polizeibeamte nun tun? Mit diesen Aussagen wird er ganz bestimmt die Schuldfrage nicht klären. Alles steht und fällt nun mit dem geschickten und klugen Hinterfragen der getätigten Aussagen. Woran konkret macht es der Zeuge fest, dass der Lieferwagen zu schnell war? Wo stand der Zeuge genau, der sah, dass der rote Wagen freie Fahrt hatte usw. Auf diese Art und Weise reduziert er nach und nach die subjektiven Einflüsse und es entsteht ein Bild von der tatsächlichen Situation. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass man von einem "Bild" spricht - denn in der Tat ist es nie mehr als das!

Fragen Sie doch mal!

Wie oft geschieht es im Beruf oder Privatleben, dass ein Streit entbrennt und eskaliert. Aus einer einfachen Diskussion wird eine lautstarke Kontroverse und schließlich eine Auseinandersetzung mit Verletzungen. Dabei entstehen solche Situationen lediglich dadurch, dass wir einfach nur eine unterschiedliche Perspektive zur objektiven Situation einnehmen. Dass beide Perspektiven dabei subjektiv sind, erscheint im Streit dabei nebensächlich.  Doch was würde geschehen, wenn beide Parteien genau diese Tatsache akzeptierten: Nämlich, dass auch sie eine rein subjektive Sicht auf das aktuelle Thema haben? Was konkret geschähe, wenn Sie Ihren Gegenüber fragten, was konkret ihn zu dieser Sichtweise veranlasst?

Dem griechischen Philosophen Zenon von Elea wird das Zitat zugeschrieben, die Natur habe uns zwei Ohren gegeben und nur einen Mund, was darauf hindeute, dass wir mehr zuhören und weniger sprechen sollten. Wer diese Weisheit beherzigt, vermeidet viele Auseinandersetzungen, öffnet sich für die Wahrnehmungen Dritter und erweitert auf diese Weise wiederum die eigene Perspektive. Darüber hinaus fördert das Hinterfragen der Positionen des Gegenübers dessen eigene Reflektion zu seiner Perspektive. Beides steigert im Optimalfall die inhaltliche Qualität einer Auseinandersetzung und vermeidet somit die völlig unnötige Eskalation. 

Die Königsdisziplin: Akzeptanz

Wer sich vergegenwärtigt, dass auch die eigene Sicht der Dinge rein subjektiv ist, tut einen ersten wichtigen Schritt. Denn er realisiert, dass Aussagen wie "da gebe ich Ihnen Recht" unangebracht sind. Das Recht, "Recht geben" zu können setzt voraus, im Besitz der objektiven Wahrheit zu sein. Und genau dies kann bei Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten naturgemäß nicht der Fall sein. Sehr förderlich für die eigene Gedankenhygiene ist es, die Begrifflichkeit des "Recht gebens" aus dem eigenen Sprachschatz zu verbannen. Angebrachter sind Begrifflichkeiten wie "da stimme ich Ihnen zu". Denn in Ihnen ist qua Inhalt bereits verankert, selbst nicht Richter über falsch und richtig zu sein.

Ebenfalls hilfreich ist es, gerade bei Meinungsverschiedenheiten den Ausführungen des Gegenübers vollständig zuzuhören. Es liegt in der Natur des Menschen, auf das erstbeste Argument erwidern zu wollen. Die Konsequenz daraus ist, dass der restliche Inhalt der Ausführungen meines Gesprächspartners von mir nicht mehr wahrgenommen werden. Wer sich jedoch darauf einlässt, wirklich allen Ausführungen zu folgen, wird die gesamte Diskussion auf ein völlig anderes Qualitätsniveau heben und eine Eskalation vermeiden. Außerdem gilt: Wer aufmerksam zuhört und hinterfragt, zeigt dass er seinen (Gesprächs-)Partner wertschätzt. Und genau dies bildet die Basis für einen vertrauensvollen und wertschätzenden Umgang.

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Artikelsignatur: Thomas Burmeister | Autoren-Ressort: www.crescetis.reporters.de
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