Im Berliner Schlosspark Theater schwebt Liebe durch die Luft

Verfasst von: Dipl. Päd. u. Theaterpädagogin Selena Plaßmann
Piazza Rossa (Bild: Selena Plaßmann)
Eine Beziehung kann leicht und heiter sein wie Champagner, glutrot und feurig wie alter Burgunder, frisch und unschuldig wie Apfelsaft oder süß und schwer wie Likör.“ (Safi Nidiaye). Der Erfolg des berühmten Briefroman-Dramas „ Love Letters“ begann in der New Yorker .Off-Broadway-Szene. Der Autor, Albert Ramsdell Gurney, ist einer der gefragtesten Gegenwartsdramatiker. „Love Letters“ ist zugleich eine Liebeserklärung an die aussterbende Kunst des Briefeschreibens.

Gurney wurde in Buffalo geboren. In seinen Werken beschreibt er mit Vorliebe die dramatische Zerrissenheit hinter der Fassade von Wohlstand und Prestige der privilegierten amerikanischen Gesellschaftsschicht, der er selbst angehörte. Als das hochnäsige Kindermädchen die kleine Melissa Gardner in die zweite Klasse bringt, ist es bei Andrew Makepeace Ladd III. Liebe auf den ersten Blick. Er sieht in ihr eine verlorene Prinzessin in einer gefühlskalten Welt, die in das Märchenland OZ geflohen war. Heimlich schreiben Andrew und Melissa sich im Schulunterricht erste Botschaften auf Zettelchen. Andrew; Willst Du am Valentinstag meine Braut sein? “- Melissa; „Also gut, ich will. Aber nur, wenn ich dich nicht küssen muss.“

Liebesbriefe (Bild: Selena Plaßmann)

Interpretiert von zwei Kennern der Briefkunst, verkörpert Dagmar Biener souverän die „anarchistische“ Künstlerin Melissa. Dieter Hallervorden spielt galant Andrew, den Gentleman alter Schule.“ Love Letters“ gibt Einblicke in die intimen Gedanken auf dem Papier in Abwesenheit des Geliebten. Bei musikalischer Untermalung („Love is in the Air“) hat der Regisseur Philip Tiedemann für die Bühnenfassung des Schlosspark Theaters erhellende Kostproben aus der Korrespondenz ausgewählt. Das Publikum wird eingeladen, Stationen einer Lebens-Reise zu verfolgen und Wandlungen der Gefühle zu erleben. Melissa und Andrew werden in unterschiedlichen Internaten untergebracht. Durch Unterricht in einer Tanzschule begegnen sie sich weiterhin. Im Briefwechsel setzt sich ihr privater Dialog fort. Für Andrew ist die Brieffreundschaft ein Ausweg aus einer chaotischen Welt, seine Gedanken zu strukturieren und Melissa seine Gefühle mitzuteilen. “Wenn ich dir schreibe, fühle ich mich wie ein echter Liebhaber.“

Andrew im Konflikt (Bild: Selena Plaßmann)

Andrew bereitet sich auf eine etablierte politische Karriere vor, während Melissa sich der Malerei widmet. Sie wird von ihrer Kunstlehrerin angeregt, nach Italien zu reisen, um dort Kunst zu studieren. Melisa verabscheut das Briefeschreiben. “Vielleicht sollten wir uns einfach vornehmen, nur miteinander zu tanzen. Dann sind wir uns trotzdem ganz nah und bewegen uns im selben Rhythmus.“ Mittlerweile sind beide in eigenen Familienstrukturen gebunden. Melissa reist nach einer gescheiterten Ehe nach Florenz, um die Landschaften im mediterranen Licht einzufangen. Bereit für einen Neubeginn spricht sie im brieflichen Dialog die für Andrew gefährlichen und rebellischen Gefühle aus: „ Mein Liebster, es war wunderschön, dich zu sehen. Komm bald wieder. Ich brauche wieder etwas von dem Zauberland. um in dieser komplexen Welt zurechtzukommen.“ Andrew: Liebling, “wir dürfen nicht in der Öffentlichkeit zusammen gesehen werden.“

Anarchistische Künstlerin
Stillleben
Paralellwelt
Memoria-Mark Twain (Bild: Selena Plaßmann)

Auf der Bühne offenbart sich Andrews Zwiespalt seinen Gefühlen für Melissa, auch in der Alltagswirklichkeit, Raum zu geben. Das Risiko eines Image-Verlusts, falls bekannt wird, dass Senator Ladd eine Geliebte hat, hemmt ihn. Mit psychologischer Tiefenschärfe und feiner Ironie übt Gurney Kritik an seinen „bipolaren“ Figuren, die in familiären und gesellschaftlichen Zwängen verhaftet sind. Durch die Rückblicktechnik; in der die Lebensbögen der elitären Protagonisten rekonstruiert werden, sind ihre Probleme - Ringkampf um Selbstbestimmung - verständlich. Die Uraufführung von „Love Letters“ war am 3.11.1988 im Long Wharf Theater, New Haven. Gurney unterrichtete gleicherweise an einer Jungenschule Latein und Englisch. Parallel verfasste er die Abenteuer von „Tom Sawyer “ als Musical. Der „Master of fine Arts,“ war Mitglied der „American Academy of Arts and Letters,“ einer Gesellschaft, in der Schreibgeräte, Briefpapier und Briefmarken mit Bedacht ausgewählt werden.